Lesestoff aus dem Norden

Lesetipps für den Sommer

Der Sommer steht vor der Tür und mit ihm die Sommerferien – oder hoffentlich der Sommerurlaub. Worauf ich mich neben dem Fremden im Urlaub am meisten freue, ist die unendliche Zeit, die jetzt zum Lesen all der Bücher reicht, die sich das Jahr über auf dem Nachttisch angesammelt haben. Und das sind nicht wenige! Als Skandifan kommen natürlich hauptsächlich Bücher aus und um den Norden in die Hand, aber selbst so ist die Auswahl ungemein. Um euch die Wahl ins nächste Buchgeschäft zu erleichtern, habe ich euch meine nordischen Highlights für den Sommerurlaub rausgesucht.

Norwegen

Buch WesteisBesonders beeindruckt hat mich der Roman “Ins Westeis” von dem norwegischen Autor Tor Even Svanes. Er erzählt von der Robbenjagd in Grönland aus der Perspektive einer Tierärztin, die, im Auftrag der norwegischen Fischereiaufsicht, die Expedition überwachen soll. Der Roman beginnt mit dem Ende; die Tierärztin sitz bei einer Anhörung und soll die unerwarteten Ereignisse bei der Expedition wiedergeben. Der Autor wechselt dabei Chronologie und Szenerie im Einklang mit den Erinnerungen der Hauptperson. Dies führt zu einer Spannung und Atmosphäre, die es mir unmöglich gemacht hat, das Buch aus der Hand zu legen. Ich bangte um die Tierärztin, wollte wissen, wie es weiter geht und eigentlich auch wieder nicht. “Ins Westeis” ist definitiv keine leichte oder gar erquickende Lektüre, aber so fesselnd, dass mich das Buch gedanklich noch lange begleitet hat.
Tor Even Svanes: Ins Westeis

Island

Buch Der Junge, den es nicht gabDer isländische Roman “Der Junge, den es nicht gab” von Sjón ist ebenfalls ein Page­tur­ner. Der junge Máni Steinn befindet sich mitten in der Geschichte: Der Erste Weltkrieg endet, Island steht vor dem Volksentscheid über die Unabhängigkeit, die Spanische Grippe wütet und der Vulkan Katla bricht aus. Reykjavík wird immer leerer. Máni Steinn vertreibt sich indes die Zeit mit seinen Kunden, dem Kino und der schönen Sóla. Als Leserin lernt man nebenbei so einiges über Islands Geschichte, während man dem Schicksal des jungen Máni verfolgt. Der isländische Schriftsteller, Musiker und Künstler Sjón hat einen wortgewandten Roman verfasst, der mit bildgewaltiger Sprache Seltsames erzählt. Surreales und Fantastisches bricht mit der Geschichtlichkeit des Stoffes und Erzähltes bricht mit der Erwartung der Leser. Das dünne Buch eignet sich perfekt für den Urlaub auf dem Balkon oder einer längeren Zugfahrt.
Sjón: Der Junge, den es nicht gab

Schweden

Buch Troll“Troll” habe ich zwar schon vor ein paar Jahren gelesen, aber das Buch ist mir immer noch lebhaft in Erinnerung. „Troll“ ist mitnichten ein Thriller, wie vom Verlag angekündigt, sondern so viel mehr: In den Ferien verschwindet der kleine Magnus aus einer Sommerhütte in Nordschweden und seine Mutter behauptet, ein Riese hätte ihn geholt. Die Polizei findet trotz intensiver Suche keine Spur, keinen Hünen, und der Zwerg bleibt verschollen. Der Fall gerät in Vergessenheit. Viele Jahre später befindet sich Susso, Kryptozoologin mit versteckter Kamera, auf Trollsuche und führ dabei so einiges zu Tage.
Autor Stefan Spjut nimmt sich viel Zeit, um seine Geschichte zu entwickeln, ohne dabei geschwätzig zu sein. Er führt das moderne Schweden mit dessen eigener Folklore zusammen, ergänzt um Versatzstücke aus Volksmärchen und samischer Mythologie und das Lesevergnügen reicht weit über einen kurzlebigen Krimi hinaus. Für das Buch sollte man in jedem Fall ein bisschen Zeit einplanen, denn sobald es begonnen wird, will es in einem Rutsch gelesen werden!
Stefan Spjut: Troll

Dänemark

Buch Der Susan-EffektSusan Svendsen hat sich immer brav auf den anerkannten Gleisen der vorherrschenden gesellschaftspolitischen Richtung bewegt. Bis es zu diesem unliebsamen Indienurlaub kam, in dem sich ihre Familie auffällig und ziemlich daneben benommen hat. Susan ist also gezwungen, sich auf einen schmutzigen Deal mit der dänischen Regierung einzulassen, um ihre geliebten Zwillinge und den Ehemann vor dem Gefängnis zu schützen.

Peter Høegs “Der Susan-Effekt” zeigt thematisch durchaus Gemeinsamkeiten mit Smilla aus seinem bisher erfolgreichsten Buch „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ (1992). Wieder bedient er sich des magischen Realismus, wieder übt er vehement Sozialkritik, wieder hat er eine Superwoman kreiert, die sich auf eine gefährliche Suche begeben muss – nach Wahrheit und um die Apokalypse abzuwenden, aber als Belohnung auch wieder nicht den „Gral“ erhält. Stilistisch wirkt Høeg diesmal moderner, so lässt er Susan aus der Erzählerperspektive zynisch, manchmal flapsig kommentieren. Auch narratorisch ist der Susan-Effekt gewohnt ausgereift, bis zum Finale des Ökothriller-Sciencefiction-Hybriden wird ein hohes Spannungslevel aufrechterhalten. An Smilla kommt der Roman zwar nicht heran, aber er eignet sich dennoch perfekt, um vom Bett direkt in den Liegestuhl zu wandern.
Peter  Høeg: Der Susan-Effekt

Finnland

Buch Der Mond fliehtDer 13-jährige Ich-Erzähler Lauri verbringt um 1960 seine Sommerferien bei Verwandten im Norden Finnlands. Onkel und Tante gehören der dortigen Erweckungsgemeinschaft an und geben sich vollends der Religion hin, während ihre Kinder Sonja und Leo im Verborgenen aufbegehren. Lauri wird unverzüglich in die vertraute Zweisamkeit aufgenommen und gemeinsam erleben die drei Jugendlichen einen verzauberten Sommer, der unschuldig beginnt, doch unweigerlich auf eine Katastrophe hinausläuft.

Rax Rinnekangas kleiner Roman „Der Mond flieht“ zog mich augenblicklich in den Sog der unheimlichen Geschichte, in der unter der gleißenden Sommersonne das Verderben lauert. Ohne eigentlich viel Inhaltliches zu erzählen, spielt Rinnekangas mit Divergenzen und den daraus resultierenden Konflikten: Jugend und Alter, Religion und Freidenkertum, Gut und Böse, Schuld und Sühne. Was den Roman darüber hinaus so lesenswert macht, ist Rinnekangas dramatische Erzähltechnik. Die Zeitstruktur ist keinesfalls linear und wird immer wieder durch unheilschwangere Rückwendungen und Vorausdeutungen unterbrochen. Inhaltlich eher schwer verdaulich, doch stilistisch reinste Prosa. Definitiv ein Buch, das ich wärmstens empfehlen kann.
Rax Rinnekangas: Der Mond flieht

 

Ich hoffe, ihr findet ein bisschen Inspiration für eure Sommerlektüre! Was sind denn eure Highlights, die ihr mir empfehlen könnt?

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  1. Wow, tolle Empfehlungen! Am liebsten würde ich sie gleich alle lesen….
    Viele Grüße,
    die Alex

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